Marschallinseln im Pazifik besonders vom Klimawandel betroffen? In den letzten 2000 Jahren fiel dort der Meeresspiegel um anderthalb Meter

Am 1. September 2014 informierte das deutsche Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) auf seiner Webseite über eine interessante neue internationale Kooperation:

Bundesumweltministerium stärkt Zusammenarbeit mit Pazifikinseln zum Schutz vor Klimawandel
Ein neues Projekt des Bundesumweltministeriums soll Küstenzonen und Ökosysteme auf Pazifikinseln vor den Folgen des Klimawandels schützen. Die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter unterzeichnete das entsprechende Abkommen mit dem Generalsekretär des Sekretariats des Pazifischen Umweltprogramms, David Sheppard. Das Treffen fand im Vorfeld des UN-Gipfels zu „kleinen Inselstaaten“ auf Samoa statt. Durch den Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Meere und Zunahme von Stürmen sind die Lebensgrundlagen vieler Bewohner der pazifischen Inseln in Gefahr. Das Vorhaben mit dem Titel „Natural Solutions to Climate Change in the Pacific Islands Region“ unterstützt ökosystembasierte Maßnahmen zum Schutz von Küstenzonen und lebenswichtigen Ökosystemen auf pazifischen Inseln. […] Die drei Inselstaaten Fidschi, Vanuatu und die Salomonen dienen hierbei als Pilotgebiete. Das Sekretariat des Pazifischen Umweltprogramms wird die dort gesammelten Erfahrungen mit seinen anderen Mitgliedsstaaten teilen, so dass auch andere pazifische Inseln eigene Anpassungsmaßnahmen entwickeln können. Durch die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) fördert das BMUB eine Reihe von Kooperationsprojekten mit „kleinen Inselstaaten“ in den Bereichen Klimaschutz, Erhaltung der biologischen Vielfalt und nachhaltige Energieversorgung mit einem Volumen von ca. 120 Millionen Euro. Das Projekt mit dem Pazifischen Umweltprogramm setzt die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Region bis 2019 fort und ist mit Mitteln im Umfang von fünf Millionen Euro ausgestattet.

Drei Gründe für die Projekte: „Anstieg des Meeresspiegels, die Versauerung der Meere und Zunahme von Stürmen“. Aber sind dies wirklich gute Gründe?

Meeresspiegel: Die Korallenatolle wachsen dem Meeresspiegel hinterher, so wie sie es seit 10.000 Jahren und länger tun. Überflutungsgefahr: Keine.

Versauerung der Meere: Vermutlich weitgehend gefahrlos: Siehe „Back to the roots: Meeresbewohner trotzen der Ozeanversauerung, da sie den abgesenkten pH-Wert bereits aus dem Urozean kennen“ und „Überraschung: Korallen kommen mit der Ozeanversauerung offenbar doch besser zurecht als lange gedacht“.

Stürme: Wohl ein Sturm im Wasserglas. Siehe „Schwerer Wirbelsturm verwüstet Vanuatu. Premierminister sieht es realistisch: “Stürme sind kein neues Phänomen, wir Insulaner leider darunter seit Besiedelung Vanuatus vor 5000 Jahren”“ und „Wer hätte das gedacht: Studien können keine Zunahme der tropischen Wirbelstürme im Indischen und Pazifischen Ozean feststellen“.

Fünf Millionen Euro für fragwürdige Probleme. Vielleicht sollte man das Geld lieber in eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung der Inseln stecken.

Euronews machte sich im April 2014 große Sorgen um die Marschallinseln:

Klimawandel: Marshallinseln schon jetzt betroffen
Den Bewohnern der Marshallinseln steht das Wasser sprichwörtlich bis zum Hals. Der Inselstaat im Pazifischen Ozean bekommt die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels schon jetzt zu spüren. Starke Stürme mit heftigen Niederschlägen nagen an der Küste. Menschen müssen hilflos zusehen, wie Schutzmauern gegen die Flut im Meer versinken. Tony De Brum, verantwortlicher Minister für Energie und Klimafragen: “Wenn die Welt weitermacht, wie bisher und weiter die Umwelt verpestet, stellt sich nicht mehr die Frage, was in hundert Jahren geschieht. Es geht darum, was uns bereits jetzt widerfährt.” Die Küstenerosion geht mit Riesenschritten voran. Für den kleinen Inselstaat hat das geografische und wirtschaftliche Folgen. Genau davor warnt auch der jüngste Weltklimabericht. Tony De Brum appelliert eindringlich an die internationale Gemeinschaft. “Wir sind wie Kanarienvögel, die unter Tage sterben und dadurch Minenarbeiter vor dem Tod warnen. Wenn der Schaden so groß ist, dass wir diese Inseln räumen müssen, dann ist es auch für die Welt zu spät, sich selbst zu retten.”

Entwicklungspolitik Online schlug im Februar 2014 in die gleiche Kerbe:

Bevor die pazifischen Inseln versinken …
„Als ich jung war, wurde unser Garten noch nicht überflutet – und wir erlebten nicht, wie ein tropischer Sturm nach dem nächsten über die tropischen Inseln fegte.“ So hat Tommy Remengesau, der Präsident von Palau, die Auswirkungen des Klimawandels auf seine pazifische Heimat wahrgenommen. Viele Menschen auf den pazifischen Inseln erkennen solch dramatische Veränderungen und warnen die Weltgemeinschaft vor den Folgen eines „weiter so“ bei klimaschädlichen Emissionen. Sie fürchten, dass sie oder ihre Kinder ihre Heimat verlassen müssen, weil diese im Meer versinken könnte. Von Frank Kürschner-Pelkmann.
Die Marshallinseln gehören zu den Inselgruppen, die besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Mitte 2013 litten die Bewohner der nördlichen Inseln unter Dürre und Wassermangel, während über den Süden starke Stürme mit heftigen Niederschlägen hinwegzogen. Seriöse Klimawissenschaftler sind sich einig, dass weltweit die Extremwetterereignisse durch die globale Erwärmung verstärkt haben und dieser Prozess sich in den nächsten Jahrzehnten noch beschleunigen wird. In der südpazifischen Region lässt sich studieren, wie sich dies konkret auswirkt. Die Weltregion, die am wenigsten zum globalen Klimawandel beigetragen hat, ist am stärksten von seinen Folgen betroffen. Tony de Brum, Regierungsmitglied der Marshallinseln, berichtete im Juni 2013: „Tausende meiner Mitbürger im Norden sind durstig und hungrig, Tausende von uns hier im Süden werden vom Meerwasser durchnässt.“ Viele Inseln und Atolle der Marshallinseln und der Nachbarstaaten sind von einer Erosion der Korallenriffe und der Uferzonen betroffen, und vereinzelt dringt bereits Salzwasser in die kostbaren kleinen unterirdischen Süßwasserlinsen ein, ohne die ein Leben auf den Atollen unmöglich wäre. Wenn der Meeresspiegel im Südpazifik tatsächlich bis 2100 um zwei Meter steigen sollte, wäre dies zum Beispiel für die Bewohner der 500 flachen Atolle des mikronesischen Staaten Palau eine Katastrophe.

Zwei Meter Meeresspiegelanstieg bis 2100? Das sagt nicht einmal der IPCC. Derzeit steigt der Meerespiegel um 2-3 mm pro Jahr, was bis 2100 etwa 21 cm Anstieg ergibt. Die Stürme haben in den letzten Jahren keineswegs zugenommen (siehe Links oben). Und Dürren sind im Pazifik keineswegs ein ganz und gar neues Phänomen, vielmehr gibt es hier eine charakteristische Zyklik, die gerne übersehen wird. Siehe „Überraschung: Feucht- und Trockenphasen wechselten im Südpazifik in vorindustrieller Zeit stets ab“ und „Tropfstein aus Tuvalu birgt Überraschung: Niederschläge im Südpazifik schwankten in vorindustrieller Zeit viel dramatischer als heute“.

Bei all der Jammerei zu den Marschallinseln scheint vielen Schreibern nicht klar zu sein, dass sich der Meeresspiegel auf der Inselgruppe in den letzten 2000 Jahren um einen Meter abgesenkt hat (Abbildung 1). Dies zeigen Forschungsresultate eine Studie von Paul Kench und Kollegen, die im Februar 2014 in den Geophysical Research Letters erschienen ist.

Abbildung 1: Meeresspiegelentwicklung auf den Marschallinseln während der vergangenen 6000 Jahre. Quelle: Kench et al. 2014.

 

Hier die Kurzfassung der Arbeit:

Evidence for coral island formation during rising sea level in the central Pacific Ocean
The timing and evolution of Jabat Island, Marshall Islands, was investigated using morphostratigraphic analysis and radiometric dating. Results show the first evidence of island building in the Pacific during latter stages of Holocene sea level rise. A three-phase model of development of Jabat is presented. Initially, rapid accumulation of coarse sediments on Jabat occurred 4800–4000 years B.P. across a reef flat higher than present level, as sea level continued to rise. During the highstand, island margins and particularly the western margin accreted vertically to 2.5–3.0 m above contemporary ridge elevations. This accumulation phase was dominated by sand-size sediments. Phase three involved deposition of gravel ridges on the northern reef, as sea level fell to present position. Jabat has remained geomorphically stable for the past 2000 years. Findings suggest reef platforms may accommodate the oldest reef islands in atoll systems, which may have profound implications for questions of prehistoric migration through Pacific archipelagos.

Das Science Magazin fand die Studie so bedeutsam, dass sie sie in einem eigenen Beitrag von Christopher Pala besprechen ließ:

Studies suggest that atoll islands will rise in step with a rising sea
By Christopher Pala, on South Tarawa

As the minibus wobbles over the dusty, pothole-filled road that runs the length of South Tarawa island, a song blasting over Kiribati’s state radio envisions an apocalypse for this fishhook-shaped atoll halfway between Honolulu and Fiji: “The angry sea will kill us all.” The song, which won a competition organized by Kiribati’s government, reflects the views of President Anote Tong, who has been warning for years of a knockout punch from climate change. […] No doubt, the sea is coming: In a 2013 report, the U.N. Intergovernmental Panel on Climate Change predicted that global sea levels will rise up to 1 meter by 2100. But recent geologic studies suggest that the coral reefs supporting sandy atoll islands will grow and rise in tandem with the sea. The only islanders who will have to move must do so for the same reason as millions of people on the continents: because they live too close to shore.

Paul Kench, a geomorphologist who now heads the University of Auckland’s School of Environment in New Zealand, was the first to question the dire forecasts for Kiribati and similar island nations. In 1999, the World Bank asked him to evaluate the economic costs of sea-level rise and climate change to Pacific island nations. Kench, who had been studying how atoll islands evolve over time, says he had assumed that a rising ocean would engulf the islands, which consist of sand perched on reefs. “That’s what everyone thought, and nobody questioned it,” he says. But when he scoured the literature, he could not find a single study to support that scenario.

So Kench teamed up with Peter Cowell, a geomorphologist at the University of Sydney in Australia, to model what might happen. They found that during episodes of high seas—at high tide during El Niño events, which raise sea level in the Central Pacific, for example—storm waves would wash over higher and higher sections of atoll islands. But instead of eroding land, the waves would raise island elevation by depositing sand produced from broken coral, coralline algae, mollusks, and foraminifera.

Kench notes that reefs can grow 10 to 15 mill imeters a year—faster than the sea-level rise expected to occur later this century. “As long as the reef is healthy and generates an abundant supply of sand, there’s no reason a reef island can’t grow and keep up,” he argues. This equilibrium may not mean that all areas of atolls will remain habitable, says Scott Smithers, a geomorphologist at James Cook University, Townsville, in Australia. “The changes might happen at a rate that exceeds the recovery,” he says. But the geologic record is reassuring, Kench and others found when they drilled deep cores into reef islands to probe how they responded to past sea-level changes. In a February report in Geophysical Research Letters, the researchers found that the island of Jabat in the Marshall Islands emerged on a reef 4800 to 4000 years ago, when sea levels were rising as fast as they are expected to rise over the next century. Other support for the model has come from monitoring how shorelines respond to seasonal […]

Vanua Levu in Fiji is a less appealing refuge. The purchase was “a publicity stunt,” scoffs Teburoro Tito, a former president of Kiribati and member of the opposition party Protect the Maneaba. Already home to 270 farmers from the Solomon Islands, the steep, hilly tract may accommodate only a few hundred more people. If the optimists are right, no one from Kiribati will have to leave their country anyway.

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Im Online Magazin The Conversation fasste Paul Kench im April 214 seine hochinteressanten Forschungsresultate für die Öffentlichkeit selber zusammen. Hier ein Auszug mit Erkenntnissen zu den Marschallinseln aus dem lesenswerten Artikel:

Dynamic atolls give hope that Pacific Islands can defy sea rise
[…] Another of our studies found that islands in Nadikdik Atoll, Marshall Islands, have been rebuilt over the past century despite being destroyed by a typhoon in 1905. All of this shows that reef islands are able to grow under current climate conditions. This suggests that coral islands are very dynamic landforms that adjust their shape and position on reef surfaces over decades. Low-lying islands are built by the action of waves and currents, which deposit sand and gravel at the shoreline. Just like any beach, as wave and current processes change, island sand and shingle is mobilised and deposited elsewhere on the shoreline. Through this ongoing process islands can change their shape and migrate across reef surfaces. We are now aiming to work out the scale and speed of these changes – which will be crucial for helping island communities to adapt to the rising seas. One question is whether islands can build vertically to keep pace with rising sea levels. Our results suggest that islands can grow upwards when waves wash over them during storms or tsunami, depositing sand in the process. This suggests that islands may be able to withstand rising sea levels and increased storminess – although life on those islands may be very different to today. On the face of it, this is potentially good news for Pacific communities. The islands they call home may be less vulnerable than is commonly thought. But our findings also suggest that although the islands may not be swamped by rising seas, they are likely to change in size and shift their position on the surface of reefs. The rate of these changes may also increase as sea level rises. This raises questions for their ongoing habitation. How will physical changes to the islands affect drinking water supplies, and how will communities need to adapt their farming practices? Questions about island change must be addressed urgently in order to inform decision making and secure the future of Pacific nations.

Ganzen Artikel auf The Conversation lesen.

Nun mag sich der eine oder andere über den Meeresspiegelabfall auf den Marschallinseln in den letzten zwei Jahrtausenden wundern. Gibt es so etwas noch in anderen Teilen der Südsee? Ja, gibt es. Ein Team um Rashid Rashid publizierte im Juni 2014 im Fachblatt G3 eine Meeresspiegelhistorie für die Gesellschaftsinseln, die Teil Französisch Polynesiens sind und zu denen auch Tahiti gehört. Mithilfe von Korallendatierungen konnte die Gruppe die Meeresspiegelentwicklung für die vergangenen 6000 Jahre rekonstruieren. Interessanterweise lag der Meeresspiegel vor 5400 Jahren etwa anderthalb Meter über dem heutigen Niveau. Vor etwa 2000 Jahren begann der Meeresspiegel dann zu fallen. Die Autoren gehen von einem langanhaltenden „mittelholozänen“ Meeresspiegelmaximum aus, das höher als heute lag. Hier der Abstract der Studie:

Constraining mid to late Holocene relative sea level change in the southern equatorial Pacific Ocean relative to the Society Islands, French Polynesia
Precisely quantifying the current climate-related sea level change requires accurate knowledge of long-term geological processes known as Glacial Isostatic Adjustments (GIA). Although the major postglacial melting phase is likely to have ended 6–4 ka BP (before present), GIA is still significantly affecting the present-day vertical position of the mean sea surface and the sea bottom. Here we present empirical rsl (relative sea level) data based on U/Th dated fossil corals from reef platforms of the Society Islands, French Polynesia, together with the corresponding GIA-modeling. Fossil coral data constrain the timing and amplitude of rsl variations after the Holocene sea level maximum (HSLM). Upon correction for isostatic island subsidence, we find that local rsl was at least 1.5 ± 0.4 m higher than present at 5.4 ka. Later, minor amplitude variations occurred until 2 ka, when the rsl started dropping to its present position with a rate of 0.4 mm/yr. The data match with predicted rsl curves based on global ice-sheet chronologies confirming the role of GIA-induced ocean siphoning effect throughout the mid to late Holocene. A long lasting Late Holocene highstand superimposed with second-order amplitudinal fluctuations as seen from our data suggest that the theoretical predicted timing of rsl change can still be refined pending future calibration.

 

 

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