Von wegen Klimaflüchtling: Studie findet, dass Migration im Sahel traditionell stark verankert ist

Das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) gab am 18. Juni 2014 die folgende Pressemitteilung heraus:

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Klimawandel und Migration im Sahel

Dr. Nicola Schuldt-Baumgart Wissenskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung

In der Debatte über den Klimawandel wird häufig argumentiert, dass die Zahl der „Klimaflüchtlinge“ weltweit wachsen wird. Der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Umweltveränderungen und Migration ist bislang jedoch kaum belegt. Das BMBF-geförderte Forschungsprojekt MICLE hat diesen Zusammenhang in ausgewählten Gebieten der Sahel-Region untersucht.

Die westafrikanischen Projektregionen Linguère in Senegal und Bandiagara in Mali liegen in der semi-ariden Sahelzone. Beide Gebiete sind bis heute von Dürreperioden und teilweise von Landdegradation betroffen. Die Niederschläge wechseln zwischen Starkregen und ausgeprägten Dürren – mit entsprechend starken Auswirkungen auf die Vegetation. Es ist davon auszugehen, dass der Klimawandel diese Dynamik verstärkt. Im Projekt MICLE wurden daher Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Landdegradation untersucht.

Nach einer sehr trockenen Periode mit ausgeprägten Dürren in den 1970er bis 1990er Jahren steigen seitdem in beiden Regionen die Niederschläge wieder an, die Variabilität nimmt aber zu. Diese Veränderungen lösen das sogenannte „Greening-Phänomen“ (Wiederergrünung) aus, welches durch Agroforstwirtschaft, Baumpflanzungen und Schutzmaßnahmen unterstützt wird. Trotz dieser positiven Entwicklung ist ein starker Rückgang der Baumvielfalt zugunsten weniger weide- und dürreresistenter Arten zu beobachten. Ebenso ist die natürliche Wald- und Buschlandschaft beinahe vollständig einer menschlichen Kulturlandschaft gewichen, womit teilweise auch eine Ausbreitung von Landdegradierung zu beobachten ist.

Binnenmigration in die Region größer als Abwanderung nach Europa

Welchen Einfluss haben solche Umweltveränderungen auf Migrationsentscheidungen? In den ausgewählten Regionen in Mali und im Senegal wurden dazu mehr als 900 Menschen befragt. Die Auswertung ergab, dass Migration in diesen Regionen traditionell stark verankert ist: Die deutliche Mehrheit, 87 Prozent der Befragten, verfügt über eigene Migrationserfahrungen. „Die meisten Menschen migrieren aber nur temporär“, sagt Projektkoordinatorin Diana Hummel vom ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung. „Das heißt, sie verlagern vorübergehend und saisonabhängig ihren Lebensmittelpunkt in größere Städte innerhalb der Länder“.

Die Binnenmigration mache damit den größten Anteil der Migrationsbewegungen aus. In Mali spiele zudem das Motiv der Arbeitssuche in der benachbarten Elfenbeinküste eine bedeutende Rolle. „Nur eine sehr geringe Zahl der Befragten wandert in europäische Länder wie Frankreich oder Italien“, sagt Projektkoordinatorin Diana Hummel.

Migration keine Notlösung, sondern gehört von jeher zum Alltag

Die Mehrheit der Befragten gibt die Suche nach Arbeit und Einkommen als wichtigstes Motiv an. Weitere Beweggründe sind eine Verbesserung der Ernährungssicherung und der Bildung sowie familiäre Entscheidungen. „Umweltveränderungen schwingen bei den Entscheidungen zur Migration aber durchaus mit“, sagt Hummel. Vor allem dann, wenn die Abhängigkeit der Menschen von der Landwirtschaft hoch ist. Wenn also die naturräumlichen Voraussetzungen ungünstig sind – etwa die Beschaffenheit der Böden – und wenn kaum Möglichkeiten bestehen, vor Ort weitere Einkommensquellen zu erschließen, „kann Migration eine Möglichkeit sein, Ernteeinbußen aufgrund ausbleibender oder unregelmäßiger Niederschläge zu kompensieren“, erläutert Hummel.

Von der Mehrheit der Befragten werde Migration nicht als letzter Ausweg aus Notsituationen betrachtet, sondern als „normaler Teil des alltäglichen Lebens und der Kultur“, betont Hummel. Es könne daher auch kein politisches Ziel sein, die Migration zu verhindern. „Sie ist vielmehr eine wichtige Strategie zur Überlebenssicherung“. Eine differenzierte Betrachtung sei deshalb unerlässlich, gerade wenn es um die Diskussion sogenannter Klimaflüchtlinge gehe. „Die Entscheidung zu migrieren ist nicht automatisch mit einer Flucht gleichzusetzen. Im Gegenteil, die Motive sind sehr vielfältig und überwiegend Ausdruck einer persönlichen Lebensentscheidung.“

Empfehlungen für Entwicklungspolitik

Politische Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation der Menschen und zur Anpassung an den Klimawandel seien wichtig und müssten auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Bereichen ansetzen. Ein wesentlicher Ansatzpunkt sei die verstärkte Investition in Bildung. Vor allem die Lebenschancen der Jugendlichen gelte es durch Qualitätsverbesserungen im Bildungssektor zu erhöhen. „Notwendig ist auch eine integrierte Regionalentwicklung, die Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Landwirtschaft schafft“. Zudem müssten Maßnahmen zum Naturschutz wie etwa Wiederaufforstungsprogramme verstärkt werden. „Solche Programme sind dann erfolgreich, wenn die Bewohner vor Ort mit einbezogen werden und zugleich ihre Lebenssituation damit verbessert wird“, resümiert ISOE-Expertin Diana Hummel.

Das Projekt „Klimawandel, Umweltveränderungen und Migration: Sozial-ökologische Bedingungen von Bevölkerungsbewegungen am Beispiel der Sahelländer Mali und Senegal – MICLE“ wurde im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung (SÖF) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Projektpartner sind das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung und das Geographische Institut der Universität Bayreuth.

Mehr Informationen zum Projekt auf http://www.micle-project.net.

Ende der Pressemitteilung

 

Siehe auch unseren Blogbeitrag "Wer hat Schuld an den Saheldürren?"
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