Hamburger Forsythie muss wohl auf die schwarze Klimaleugnerliste

 Von Sebastian Lüning und Josef Kowatsch

Am 4. April 2018 war es wieder soweit. Auf der Hamburger Lombardsbrücke hat die Forsythie geblüht. Und in China ist ein Sack Reis umgefallen? Nein, die Forsythie hat eine wichtige Aufgabe inne, ihr Blühbeginn informiert nämlich über den Klimawandel. Vereinfacht ausgedrückt: Je früher sie blüht, desto wärmer das Klima. Das leuchtet ein. Die Jahreszeiten verschieben sich, lesen wir allerorten in der Zeitung. Ob der Frühling wohl bald schon im Februar beginnt?

Wie viele unserer Leser wissen, zeigt sich die Hamburger Forsythie gänzlich unkooperativ. In den letzten 30 Jahren verspätet sich nämlich ihr Blühbeginn immer weiter. Als hätte sie das Memo zur Klimakatastrophe nicht erhalten. Sie macht das glatte Gegenteil von dem, was man erwartet hätte. Auf Wikipedia zeigte man sich verwirrt und schrieb einfach, was man erwartet hatte, nicht was wirklich auftrat. Wir ertappten die Aktivisten dabei, was schön peinlich war. Mit dem 4. April blühte die Promi-Forsythie dieses Jahr besonders spät. Nur dreimal in den letzten 30 Jahren kamen die Blüten noch später (Abb. 1). Ganz offensichtlich war es ihr Anfang 2018 viel zu kalt, so dass sie ihre schmucken Blüten möglichst lange im warmen Inneren hielt.

 

Abbildung 1: Entwicklung des Blühtermins der Hamburger Forsythie seit 1988. Die y-Achse zeigt die Kalendertage seit Jahresbeginn.  Graphik: Josef Kowatsch. Foto des Strauchs oben rechts: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

 

Wieso macht die Forsythie das? Dazu schauen wir uns am besten die Temperaturentwicklung in Hamburg an. Zuerst den späten Wintermonat Februar (Abb. 2):

Abbildung 2: Entwicklung der Februartemperaturen in Hamburg. Graphik: Josef Kowatsch. Daten: DWD.

 

Gut zu erkennen: In den letzten 30 Jahren ist der Februar immer kälter geworden. Kein Februar der letzten 20 Jahre war kälter als 2018. Noch mehr als der kalte Februar beieinflussen die Märztemperaturen den Blühtermin der Forsythie an der Hamburger Lombardsbrücke. Und auch der März war in Hamburg noch kein Frühlingsmonat, an vielen Tagen zeigte er sich vor allem 1988 sehr winterlich. Mit 2,0 C im Schnitt war es der viertkälteste März in den letzten 30 Jahren. Und die letzten Märztage waren in Hamburg besonders kalt (Abb. 3).

 

Abbildung 3: Entwicklung der Märztemperaturen in Hamburg. Graphik: Josef Kowatsch. Daten: DWD.

 

Fassen wir zusammen: Die Forsythie blühte in den letzten 30 Jahren immer später. Und das tat sie nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil es im Februar und März immer kälter wurde. Das Klima wandelt sich. Aber nicht immer so, wie man es in der Zeitung liest. Wenn man nun über die letzten 30 Jahre („Klima“) hinausgeht, so trifft man in den 1980er Jahren auf eine Phase, in der der Hamburger Forsythienstrauchschon einmal sehr spät geblüht hat (Abb. 4). Das Klima führt ganz offensichtlich eine natürliche Eigendynamik. Die Auswertung längerer Zeitreihen ist erforderlich, um die natürlichen Muster zu erkennen. Erst dann kann man sich überlegen, ob vielleicht auch der Mensch ein bisschen zur Entwicklung beigesteuert hat.

 

Abbildung 4: Seit 1971 ist der Blühtermin der Forsythie in Hamburg ausgeglichen. Er liegt etwa bei 80 Tagen nach Neujahr. Foto des Strauchs oben rechts: NordNordWest, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de

 

Christian Herold vom Deutschen Wetterdienst stellte am 28. März 2018 eine weitere interessante Methodik zur klimatischen Blühkunde vor:

Wie weit fortgeschritten ist die Vegetation?

Der Februar und der März waren deutlich zu kalt. Die unterkühlten Temperaturen hatten nachhaltigen Einfluss auf die Vegetationsentwicklung. Doch wie weit ist die Natur in diesem Jahr zurück?

Um die Frage zu klären, inwieweit die Kältephasen im Februar und Mitte März die Vegetation zurück gehalten haben widmen wir uns zunächst einmal einem Teilbereich der Meteorologie: der Phänologie. Die Phänologie beschäftigt sich mit den jedes Jahr vom Wetter abhängigen wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungszuständen von Pflanzen. Diese Entwicklungsphasen werden von zahlreichen ehrenamtlichen Beobachtern erfasst und in einem phänologischen Kalender notiert. Dafür werden bestimmte Zeigerpflanzen herangezogen. Zum Beispiel ist die Forsythienblüte charakteristisch für den Beginn des Erstfrühlings. Weil in diesem Jahr bisher nur an 10 % der phänologischen Messstationen eine Forsythienblüte beobachtet wurde, lässt sich dadurch zurzeit nur schwer eine Aussage treffen.

Da der Vegetationszustand allerdings maßgeblich von der Temperatur abhängt, soll hier ein anderer Ansatz gewählt werden: Die sogenannte „Grünlandtemperatursumme“ ist eine spezielle Wärmesumme, die zu Hilfe genommen wird, um den nachhaltigen Vegetationsbeginn zu bestimmen. Zur Berechnung der Grünlandtemperatursumme werden alle positiven Tagesmitteltemperaturen seit Jahresbeginn aufsummiert. Diese werden allerdings nach Monaten gewichtet. Das heißt, im Januar wird das Tagesmittel mit dem Faktor 0,5 multipliziert, im Februar mit 0,75. Ab März geht dann der volle Wert ein. Erreicht die Grünlandtemperatursumme die magische Grenze von über 200 Grad, ist der nachhaltige Vegetationsbeginn erreicht.

Weiterlesen beim DWD.

Passend zum Thema auch ein Paper einer Forschergruppe um Eli Melaas in den Geophysical Research Letters am 23. März 2018. Anhand von Satellitenbilder-Serien bestimmten die Wissenschaftler das Erstauftreten von Blättern als Frühlingsanzeichen. An der US-Ostküste kamen die Blätter immer früher, in den nördlichen Kaltgebieten waren die Trends gemischt, je nach Region.

Multidecadal Changes and Interannual Variation in Springtime Phenology of North American Temperate and Boreal Deciduous Forests
The timing of leaf emergence is an important diagnostic of climate change impacts on ecosystems. Here we present the first continental‐scale analysis of multidecadal changes in the timing of spring onset across North American temperate and boreal forests based on Landsat imagery. Our results show that leaf emergence in Eastern Temperate Forests has consistently trended earlier, with a median change of about 1 week over the 30 year study period. Changes in leaf emergence dates in boreal forests were more heterogeneous, with some sites showing trends toward later dates. Interannual variability in leaf emergence dates was strongly sensitive to springtime accumulated growing degree days across all sites, and geographic patterns of changes in onset dates were highly correlated with changes in regional springtime temperatures. These results provide a refined characterization of recent changes in springtime forest phenology and improve understanding regarding the sensitivity of North American forests to climate change.

 

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