Schnell mal im Selbstversuch die Welt retten

Von Uli Weber

Als ich vor mehr als 35 Jahren noch regelmäßig die „Computerwoche“ las, träumten dort alle von „künstlicher Intelligenz“. Heute haben unsere PCs mehr Rechenkapazität als ein damaliger Supercomputer, aber die einzige real existierende künstliche Intelligenz, die einem im Alltag schon mal begegnen kann, sind Wikipedia und die eigenwillige Sprachführung auf irgendeiner telefonischen Kundenhotline… Und jetzt überschlagen sich Automobilindustrie, Politik und Medien in Schwärmereien über eine schönere neue automobile Zukunft mit einem selbstfahrenden und wieder aufladbaren Elektroauto zur Rettung des „Weltklimas“. Wollen tatsächlich alle Verbraucher ein solches Auto? Nein, ganz bestimmt nicht alle, ich will es jedenfalls nicht!

Foto: Uli Weber

 

Ein moderner Diesel-PKW ohne Zuheizer erreicht heute schon fast den Heizungsstandard eines seligen VW Käfers. Beim E-Auto ist da noch beliebig viel Luft nach unten, denn dort konkurrieren im Winter die Heizung (und im Sommer die Klimaanlage) mit dem Elektroantrieb um die spärlichen Batteriekapazitäten. Vielleicht müssen Sie zur Strafe für winterliche Heizungsexzesse dann ja unterwegs mit Ihrem E-Auto doch mal einen ungeplanten Boxenstop an einer Ladestation einlegen, an der schon eine ganze Schlange von Leidensgenossen wartet. Und dort stellt sich dann ganz nebenbei auch noch die Frage, wie es beim winterlichen Warten auf das Aufladen des Akkus mit klimagerechtem EEG-Strom eigentlich mit der Heizung des Innenraums aussieht. Vielleicht bietet sich dafür ja eine benzinbetriebene Standheizung an – oder ein klimakorrektes Windrad als kostenpflichtiges Fahrzeugzubehör. Sollte der Lagevorgang mit EEG-Strom allerdings während einer winterlichen Dunkelflaute erforderlich werden, dann ist Wintercamping an der Ladestation angesagt; hoffentlich sind die Ladestationen dann entsprechend ausgerüstet. Schnell mal irgendwo hinfahren geht dann jedenfalls gar nicht mehr, Überlandfahrten erfordern vielmehr eine ganz präzise Vorplanung

Wer also nicht selber fahren und sich um gar nichts oder sein Smartphone kümmern möchte, der kann ja immer noch den Bus, die Bahn oder das Taxi nehmen. Bus und Bahn fahren allerdings auf festgelegten Linien und halten nur an bestimmten Haltestellen, und das Taxi ist teuer. Und hier setzt dann der Traum vom selbstfahrenden E-Auto an, denn das ist noch viel teurer.

Was heißt nun eigentlich „selbst fahren“? Naja, das Auto fährt dann von selbst und Sie müssen nur noch aufpassen, dass es alles richtig macht. Sie bleiben nämlich voll für Ihr selbstfahrendes Auto verantwortlich; Sie fahren also nicht mehr selbst, sind aber selbst für das Nichtselbstfahren verantwortlich. Dieses Verantwortlichsein können Sie ja mal ausprobieren, beispielsweise in Bus, Bahn oder Taxi. Dann können Sie dort allerdings auch nicht mehr die Zeitung lesen oder auf Ihrem Smartphone herumspielen, denn Sie müssen ja verantwortlich auf das Selbstfahren aufpassen – und schon ist der ganze schöne „Gefahrenwerden“-Effekt im Eimer.

Beim selbstfahrenden Auto sind Situationserkennung, Entscheidungsfindung und Kommunikation lebenswichtig. Wer bei starkem Regen schon mal durch den Spray eines entgegenkommenden Lastwagens gefahren ist weiß, wie schnell man da orientierungslos werden kann. Die entscheidende Frage ist, ob in einem solchen Fall die Entscheidungsfindung des selbstfahrenden Fahrzeugs funktioniert oder es dann die Verantwortung überstürzt an den gerade anderweitig beschäftigten Fahrer zurückdelegiert. Moderne Autos verfügen je nach Ausstattung bereits heute schon über einige wirklich praktische Helferlein, aber intelligent? Vergessen Sie beispielsweise mal den Abstandstempomaten und biegen Sie, hinter einem LKW fahrend, auf die Autobahnausfahrt ab – es wird beim Abbiegen vollautomatisch genau das Gegenteil von dem passieren, was in dieser Situation angebracht wäre. Bevor das „intelligente“ Helferlein beim Abbiegen wieder „freie Fahrt“ erkennt, muss es also vom Fahrer rechtzeitig abgeschaltet werden…

Es ist also zunächst einmal fraglich, ob wir uns in Zukunft tatsächlich auf selbstfahrende Fahrzeuge verlassen können, die in jeder unübersichtlichen Situation intuitiv vorausschauend Bescheid wissen und insbesondere auch selbständig erkennen können, dass eine Situation überhaupt erst unübersichtlich zu werden droht.
Oder soll hier vielleicht der Kunde einer völlig abgehobenen Automobilindustrie helfen, ein ewiges Beta-Produkt im automobilen Selbst(mord?)versuch permanent an die Wirklichkeit des real existierenden Straßenverkehrs anzupassen, nur um das „Weltklima“ zu retten?  Ach ja, da fällt mir ein, dass die Kommunikation mit Automobilherstellern für den Endkunden ja auch nicht immer ganz barrierefrei ist. Offenbar unterhält man sich dort lieber mit Politikern und Medien, die einen ähnlichen Abstand zu den Lebensrealitäten der Bürgerinnen und Bürgern gewonnen haben und in egoistischer Selbstverwirklichung lieber die ganze Welt retten wollen…

Das selbstfahrende Elektroauto wäre also ein Erlebnis wie ein spannender Hollywood-Thriller: Man sitzt in der ersten Reihe, isst Popcorn und fragt sich in Anlehnung an den Abgasskandal ständig, ob das selbstfahrende Fahrzeug und dessen Programmierer wohl auch wirklich an all das gedacht haben mögen, was da so gerade auf einen zukommt. Und in dieser schönen neuen Auto-nomen Zukunft lässt man sich dann beim buchstäblichen „Gefahrenwerden“ von der Chaostheorie überraschen – ein gewisser Dr. Malcolm aus dem „Jurassic Park“ lässt auch ganz herzlich grüßen.

Ein selbstfahrendes Auto ist also todsicher wahnsinnig spannend, aber ohne spezialisierte Fachkräfte würde ein solcher Selbstversuch wohl nicht so gut ausgehen – dazu müsste man dann zur Sicherheit wohl zusätzlich noch einen eigenen Stuntmen engagieren, der auf das „Gefahrenwerden“ aufpasst. So gesehen könnte die alternative Mobilität also auch noch klimaneutrale Arbeitsplätze schaffen.

Und eine Problemlösung mit einem eigenen Chauffeur dürfte am Ende sicherlich auch sehr erfolgreich funktionieren, man nehme zum Beweis einfach mal ein Taxi. Aber damit können Sie natürlich unser Weltklima nicht retten, denn das hat ja einen Dieselmotor…

 

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