Zeit-Herausgeber Josef Joffe: Der Klimatismus als neue weltliche Religion

Bereits vor einigen Jahren war dem deutschen Publizisten Josef Joffe aufgefallen, dass in den Klimawissenschaften so einiges im Argen liegt. Erstaunt entdeckte er überraschende Parallelen zur religiösen Glaubenswelt. Er hielt seine Beobachtungen in einem Kommentar fest, der im Oktober 2007 in der Wochenzeitung ‚Die Zeit‚ erschien, welche Joffe bekanntlich zusammen mit Helmut Schmidt herausgibt. Im Folgenden wollen wir Joffes weitsichtigen Artikel in Erinnerung bringen, der seitdem nichts an seiner Aktualität eingebüßt hat. Mit Dank an Josef Joffe für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe an dieser Stelle.

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Ich bin Dein Gore … und Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Der Klimatismus als neue weltliche Religion

Von Josef Joffe

Zwei Jahrtausende nach Jesus, 1400 Jahre nach Mohammed, beginnt ein neuer Glauben die Herzen und Hirne der westlichen Welt zu ergreifen. Diese Religion, der »Klimatismus«, erscheint ohne Moses und Paulus, sozusagen im Wikipedia-Stil: Jeder ein Schriftgelehrter, jeder ein Erleuchteter.

Ein neuer Glauben? Hellhörig machte die Bemerkung eines klugen Kollegen, der sagte: »Dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, das bezweifelt doch niemand mehr.« Der Verdacht verstärkte sich, als der »Klimaleugner« auftauchte, der eine moderne Version des »Ketzers« abgibt (und wegen der verbalen Verwandtschaft zum »Holocaust-Leugner« an Infamie nicht mehr zu toppen ist).

Die Vermutung, dass hier eine neue Religion entstanden war, begann sich zur Gewissheit zu verdichten, als folgende Nachricht aus Kalifornien, genauer aus dem Napa Valley nordöstlich von San Francisco kam. Da hatte das Gaia Hotel die Bibel, die seit Jahrzehnten in amerikanischen Hotel-Nachttischen liegt, durch An Inconvenient Truth , den Weltbestseller des früheren Vizepräsidenten Al Gore, ersetzt.

Paulus und Mohammed haben damals auch ganz klein angefangen. Heute erobert, was in Kalifornien eingeführt wird (zum Beispiel der Katalysator), erst Amerika, dann die ganze Welt. Betrachten wir also die psychostrukturellen Ähnlichkeiten zwischen Gottesglauben und Klimatismus. Wie funktioniert eine Religion, sagen wir, die jüdisch-christliche?

Sie braucht vorweg ihre Propheten, die wie Jesaja Feuer und Schwefel regnen lassen, die Sünde anprangern, Buße und Umkehr fordern. »Weh dem sündigen Volk, der schuldbeladenen Nation«, rief Jesaja. Lauschen wir nun Al Gore: »Wir Amerikaner haben gesündigt… wir müssen Buße tun, indem wir unsere Bequemlichkeiten opfern.«

Im nächsten Schritt muss eine Religion die Apokalypse beschwören. Siehe zum Beispiel die »Offenbarung des Johannes«, wo »das Feuer fiel vom Himmel«. Aber es muss nicht unbedingt der Endkampf zwischen den Kindern des Lichts und der Finsternis, zwischen Gog und Magog sein. Entscheidend ist, dass die Religion die Urängste bedient, die schon zu Moses Zeiten die Seelen der Menschen packten: Flut (»Sintflut«), Dürre (Joseph in Ägypten), Waldbrand (das Flammenschwert des Erzengels, Sodom und Gomorra). Die Zutaten der modernen Apokalypse des Klimatismus sind keine anderen: anschwellende Meeresspiegel; was verheerende Fluten verschonen, wird von Dürre geplagt; den Rest verwüsten Hurrikane.

Jetzt aber folgen, drittens, Hoffnung und Erlösung. Nachdem besagtes Feuer vom Himmel gefallen war, »verzehrte« es die satanischen Kräfte. In den »Feuersee« geworfen wurde nur, »wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war«, also Gnade durch Läuterung erfahren hatte. Gottgefälligkeit im Judentum ist die Unterwerfung unter Gottes Gesetz (siehe Jesaja et alii), im Katholizismus entgeht der Hölle, wer seine Sünden gebeichtet, Umkehr gelobt und die Buße auf sich genommen hat. Und im »Klimatismus«?

Da kommt die Erlösung aus dem Verzicht, was in Wahrheit auch ein religiöser Topos ist. Wie grollt doch Jesaja? »Ihr habt den Weinberg geplündert, eure Häuser sind voll von dem, was ihr den Armen geraubt habt.« Die moderne Entsprechung ist die »Ausbeutung der Dritten Welt«. Übt euch in Demut, »jeder Mann muss sich beugen«, sonst wird euch der »Herr den Schmuck wegnehmen, die Armspangen«, warnt der Prophet.

Heute ist die sündige Ausschweifung der hemmungslose Konsum, der über global warming in den Untergang führt. Verzichtet auf den neumodischen Tand: Autos, Fernreisen, Air-Conditioning, Fleisch. Lasst ab vom Götzen »Wachstum«, verbeugt euch zerknirscht vor der Natur. Kauft Ablass mit CO2-Zertifikaten.

Jede Religion hat auch ihre Himmelszeichen. Schon Johannes beschwört die Umweltkatastrophe: »Die Sonne wurde schwarz, und der ganze Mond wurde wie Blut.« Heute entnehmen wir die Zeichen dem Wetterbericht, und zwar mit der gleichen poetischen Freiheit, die Jesaja und Johannes auch schon nutzten.

Dabei schlägt die Logik Purzelbäume. Die Klimakatastrophe ist zu viel Schnee und zu wenig, zu viel Regen und zu viel Sonne, zu viel Flut und zu wenig Wasser. Alles ist Klima, alles Mahnung, alles Menetekel.

Zum gerechten Zorn der Propheten gehört auch ein bisschen Schummeln. Was tut’s, wenn die Eisbären in Wahrheit nicht aussterben, der Golfstrom nicht versiegt? Denn es geht um Größeres als Erbsenzählerei. Es geht um Furcht und Glauben. Und wo die zum Maßstab werden, teilt sich die Welt in Gläubige und Ketzer, Gemeindemitglieder und Auszustoßende. Das Gewissen triumphiert über das Wissen, die Gesinnung über die Wissenschaft.

Zitieren wir Karl Popper, der’s wiederum von Aristoteles und David Hume hat: »Alle Theorien sind Hypothesen, alle können umgestoßen werden. Das Spiel der Wissenschaft hat grundsätzlich kein Ende. Wer beschließt, die wissenschaftlichen Sätze nicht weiter zu überprüfen, der tritt aus dem Spiel aus.« Dem sei hinzuzufügen: und tritt in ein sehr altes Spiel ein, das wir seit Renaissance und Aufklärung nur noch im Gotteshaus spielen, wo Glaube und Gewissheit eins sind.

Ob Erwärmung progressiv oder zyklisch, ob sie menschengemacht ist oder nicht, ist in der Tat die Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts. Aber es ist keine Glaubensfrage. Der Glaube ist eine feste Burg. Die Wissenschaft aber kennt keine Gewissheit. Oder nur so lange, wie sie dem Rammbock des Zweifels widersteht.

 

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