DWD: Für die Vergangenheit gibt es keine belastbaren Auswertungen zur Veränderung von Stärke oder Häufigkeit von Stürmen über Deutschland

Immer wieder wüten Stürme in Deutschland und Nachbarländern, zuletzt Xavier Anfang Oktober 2017. Die Versuchung ist groß, die jeweiligen Ereignisse im Zuge eines Automatismus dem Klimawandel anzulasten. Dabei wird jedoch meist der klimahistorische Kontext ausgeblendet, der wichtige Trend liefert, in deren Lichte das Geschehen zu deuten ist. Wir begeben uns auf Spurensuche.

Vor zwei Jahren (2015) warnte Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst auf RP-Online vor vorschnellen Schlüssen:

Deutschland scheint sturmgeplagt. In den vergangenen zehn Jahren gab es im Durchschnitt jedes Jahr einen Orkan. Tritt dieses Naturereignis mittlerweile häufiger auf, als es in der Vergangenheit der Fall war? Werden Stürme in bestimmten Monaten zum alltäglichen Begleiter?

„Das ist ein schwieriges Thema“, antwortet Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst (DWD). „Für die Vergangenheit gibt es keine belastbaren Auswertungen zur Veränderung von Stärke oder Häufigkeit von Stürmen über Deutschland“, erklärt er die Situation. Während Temperaturverläufe und Regenmengen über viele Jahrzehnte sehr gut dokumentiert sind, hält sich der DWD bei Stürmen zurück.

Michael Krüger berichtete 2014 im ScienceSkepticalBlog:

Die Sturmaktivität an der Deutschen Nordsee- und Ostseeküste (Sturmindex an der Nordsee- und Ostseeküste/ geostrophische Windgeschwindigkeiten seit 1880) nimmt nicht zu, sondern fällt seit dem Messbeginn im Jahre 1880. Um 1990 wurde ein Zwischenhoch erreicht, seitdem fällt die Aktivität weiter.

Dazu zeigt er zwei Sturmindex-Kurven, allerdings leider ohne Quellenangabe. Forscher des Instituts für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht haben die Sturmentwicklung in Deutschland und Nachbargebieten seit längerem verfolgt und können ebenfalls keinen beunruhigenden Trend erkennen. Auf shz.de war 2014 zu lesen:

Orkan „Christian“ war kein Kind des Klimawandels
[…] Gemeinsam mit Kollegen des Deutschen Wetterdienstes und des dänischen Meteorologischen Instituts haben die Geesthachter Küstenforscher die Daten von „Christian“ und anderer Orkane ausgewertet. Von Storch erlebte den Ausnahme-Sturm am 28. Oktober 2013 hautnah: Beim Versuch, seine Heimatinsel Föhr zu besuchen, strandete er in Dagebüll. Er und seine Kollegen stießen bei ihrer Untersuchung auf  Schwankungen der Sturmintensität über viele Jahrzehnte. „Erkennbar ist eine Verringerung der Sturmaktivität seit den 1880ern bis Mitte der 1960er Jahre und ein darauf folgender Anstieg bis Mitte der 1990er Jahre“, sagt von Storch. Seit Mitte der 1990er Jahre verringere sich die Aktivität wiederum. „Anders als bei Hitzewellen können diese Schwankungen allein auf natürliche Variabilität zurückgeführt werden“, erklärt der Wissenschaftler. […]

Passend dazu ein Interview mit Hans von Storch in der Zeit 2015 (nur für Abonnenten):

„Mal rumst es mehr …“
Warten auf den Orkan: Was extreme Wetterereignisse mit unserem Klimaalltag zu tun haben, weiß der Meteorologe Hans von Storch

Bemerkenswert auch dieser Artikel aus dem Januar 2015 auf proplanta:

Klimaexperten warnen davor, für Stürme und Überschwemmungen vorschnell den Klimawandel verantwortlich zu machen
«Einzelereignisse kann man nicht mit dem Klimawandel in Verbindung bringen», sagte Florian Imbery, Klimaexperte beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach, der Deutschen Presse-Agentur am Montag. Verlässliche Aussagen könne man nur machen, wenn man Intervalle von 30 Jahren miteinander vergleiche. Relativ gut feststellen könne man Änderungen bei der Temperatur. Bei Niederschlägen sei das schon schwieriger, nahezu unmöglich sei es bei Stürmen. Der Unterschied: «Temperatur ist eine stabilere Größe, Niederschlag und Wind sind hoch variabel in Raum und Zeit.» Relativ klar ist für Imbery, dass es wärmer wird: «Wir haben öfter Hitzeperioden.» Das sei aber auch die einzige signifikante Veränderung im Klima – bei Regen und Wind gebe es nur «Indizien».

Weiterlesen auf proplanta

Übrigens: Wussten Sie, dass die ausgestoßene Luft beim Husten bis zu 480 km/h schnell ist? Das entspricht etwa der vierfachen Windgeschwindigkeit in einem Orkan (aus: Focus, Januar 2013).

Kommen wir nun zu den Langzeitbetrachtungen. Bierstedt et al. (2016) untersuchten die Veränderlichkeit der täglichen Windgeschwindigkeiten über Nordeuropa für die vergangenen 1000 Jahre in Computersimulationen. Das Ergebnis lässt sich leicht zusammenfassen: Jedes Modell zeigt etwas anderes. So endete die Untersuchung in einem großen Widerspruch und der Erkenntnis, dass die Modelle noch nicht in der Lage sind, Wind und Stürme zu modellieren. Schade. Abstract:

Variability of daily winter wind speed distribution over Northern Europe during the past millennium in regional and global climate simulations
We analyse the variability of the probability distribution of daily wind speed in wintertime over Northern and Central Europe in a series of global and regional climate simulations covering the last centuries, and in reanalysis products covering approximately the last 60 years. The focus of the study lies on identifying the link of the variations in the wind speed distribution to the regional near-surface temperature, to the meridional temperature gradient and to the North Atlantic Oscillation. Our main result is that the link between the daily wind distribution and the regional climate drivers is strongly model dependent. The global models tend to behave similarly, although they show some discrepancies. The two regional models also tend to behave similarly to each other, but surprisingly the results derived from each regional model strongly deviates from the results derived from its driving global model. In addition, considering multi-centennial timescales, we find in two global simulations a long-term tendency for the probability distribution of daily wind speed to widen through the last centuries. The cause for this widening is likely the effect of the deforestation prescribed in these simulations. We conclude that no clear systematic relationship between the mean temperature, the temperature gradient and/or the North Atlantic Oscillation, with the daily wind speed statistics can be inferred from these simulations. The understanding of past and future changes in the distribution of wind speeds, and thus of wind speed extremes, will require a detailed analysis of the representation of the interaction between large-scale and small-scale dynamics.

Eine andere Studie von Bett et al. 2017 untersucht den Wind in Europa während der letzten 142 Jahre, offenbar auf Basis von homogenisierten Messdaten. Einen richtig signifikanten Langzeittrend konnten die Forscher nicht finden, dafür aber bedeutende systematische Schwankungen in Jahrzehntbereich, vermutlich im Zusammenhang mit den Ozeanzyklen. Abstract:

Using the Twentieth Century Reanalysis to assess climate variability for the European wind industry
We characterise the long-term variability of European near-surface wind speeds using 142 years of data from the Twentieth Century Reanalysis (20CR), and consider the potential of such long-baseline climate data sets for wind energy applications. The low resolution of the 20CR would severely restrict its use on its own for wind farm site-screening. We therefore perform a simple statistical calibration to link it to the higher-resolution ERA-Interim data set (ERAI), such that the adjusted 20CR data has the same wind speed distribution at each location as ERAI during their common period. Using this corrected 20CR data set, wind speeds and variability are characterised in terms of the long-term mean, standard deviation and corresponding trends. Many regions of interest show extremely weak trends on century timescales, but contain large multidecadal variability. Since reanalyses such as ERAI are often used to provide the background climatology for wind farm site assessments, but contain only a few decades of data, our results can be used as a way of incorporating decadal-scale wind climate variability into such studies, allowing investment risks for wind farms to be reduced.

Weiter mit einer Studie von Rangel-Buitrago et al. 2016 aus dem Journal of Coastal Research. Die Autoren untersuchten die Wellen- und Sturm-Daten einer Boje vor der Küste von Süd-Wales. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts verzeichneten sie noch eine hohe Sturmaktvität, die dann jedoch Anfang des 21. Jahrhunderts abnahm. Die Forscher konnten deutliche Zusammenhänge mit den Ozeanzyklen ausmachen, insbesondere der Arktischen Oszillation und der Nordatlantischen Oszillation. Abstract:

Wave Climate, Storminess, and Northern Hemisphere Teleconnection Patterns Influences: The Outer Bristol Channel, South Wales, U.K.
This paper investigates potential climate-change impacts on the Outer Bristol Channel (Wales, U.K.) by analysing a 15-year wave-buoy dataset (1998–2013) to characterise wave climate and storms. The research showed that the increasing storminess experienced during the latter half of the 20th century did not, as expected, continue into the first decades of the 21st century; however, the wave climate showed clear cyclic variation in average monthly significant wave height (Hs), with low values occurring between May and August (Hs < 1.4 m, Hsmax < 6 m) and a minimum in August (Hs = 1.3 m, Hsmax = 5.2 m). Monthly mean wave power was 27.4 kwm−1, with a maximum of 951 kwm−1 during December. The 267 storm events were recorded during the assessment period. Storm-severity distribution presented a log-normal trend, with weak and moderate events making up 73% of the record (125 and 69 events, respectively); significant (18%), severe (4%), and extreme (6%) storms resulting in 73 events that are more destructive made up the remainder of the record. Fifty-five percent of the monthly averaged wave variations, wave power, and storminess indices are linked to several teleconnection patterns, the most relevant being the Arctic Oscillation, with 23.45%, the North Atlantic Oscillation, with 20.65%, and the East Atlantic with 10.9%. This kind of characterization is essential for design considerations to any proposed developments within the Bristol Channel that affect the coastal zone, e.g., the proposed design of the Swansea Bay Tidal Lagoon, which is capable of generating over 542,000 MWhyr−1 of renewable energy.

Siehe auch Bericht auf CO2Science.

Schließlich noch nach Krakau, wo Bielec-Bakowska & Piotrowicz 2013 die Sturmgeschichte der letzten 100 Jahre analysierten. Fazit: Es ist kein Trend erkennbar. Abstract:

Long-term occurrence, variability and tracks of deep cyclones over Krakow (Central Europe) during the period 1900–2010
This article discusses patterns in the long-term and seasonal occurrence of deep cyclones over Krakow. This study analysed the frequency of occurrence of air pressure values equal to or lower than the 1st percentile (equivalent to ≤995.3 hPa) of all air pressure values recorded at 12:00 UTC over a period of 110 years (1900/1901–2009/2010). Special attention was devoted to the tracks of deep cyclones. No distinct changes were found in the frequency of occurrence of deep cyclones during the study period. Overall the frequency peaked in December, but in recent years there has been an increase in frequency towards the end of winter and beginning of spring. A similar general lack of noticeable change in the number of days with deep cyclones can also be found in specific tracks. There were minor increases in the frequency of occurrence of cyclones from the Norwegian Sea (T1), the Atlantic (T3), Bay of Biscay (T6) and the Mediterranean (T7) after 1950. The study also found confirmation of the theory that cyclone tracks had shortened at their northeastern extremities.

Siehe auch Bericht zur Arbeit auf The Hockeyschtick.

 

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