Extreme Ansichten auf dem Extremwetterkongress: Anti-Sonnen-Beweisführung à la Latif

Vom 20.-23. März 2012 fand in Hamburg der Extremwetterkongress statt. Als Zugpferd wurde der bekannte Kieler Klimaforscher Mojib Latif verpflichtet. Sein Vortrag wurde in den Medien groß angekündigt, auch weil sich seine unverwechselbar launige Art sehr vom trockenen Stil so manch anderer Fachkollegen absetzt. Sein 26-minütiger Auftritt auf dem Kongress war als Video auf der NDR-Webseite verfügbar, ist jetzt aber leider wohl nicht mehr verfügbar. In seinen Ausführungen machte sich Latif vor allem Gedanken über die möglichen Hauptklimafaktoren, die er dann für Zukunftsprojektionen des Klimas bis 2100 verwendete. Um es gleich vorweg zu sagen, der Vortrag ist ein bunter Eintopf, wobei Latifs Zutaten aus Standard-Basiswissen, interessanten Ideen und etlichen haarsträubenden Fehlinterpretationen bestehen. Das Ganze rührt er kräftig durch und serviert es dem nichtsahnenden Publikum aus einem Guss mit ernstem Gesicht.

Da ihm unser kürzliches Buch „Die kalte Sonne“ so gar nicht gepasst hat (siehe z.B. Hamburger Abendblatt, Financial Times Deutschland, Die Presse, CO2-Fingerabdruck), widmet Latif die ersten Minuten seiner Darbietung dem Versuch, die Klimawirkung der Sonne zu widerlegen, damit Ruhe im Karton einzieht. Das macht er jedoch derart lustlos und wenig überzeugend, dass man schon fast glauben könnte, er traue seiner schwachen Argumentation selber nicht mehr. Latif zeigt dazu auf der Leinwand die Temperaturkurve der letzten 150 Jahre und weist auf den deutlich erkennbaren Erwärmungstrend hin. Und da auch CO2 während des gleichen Zeitraums anstieg, ist die Sache doch eigentlich klar, meint er. Lieschen Müller und Matthias Mustermann im Publikum waren sofort überzeugt. Leider vergisst Latif zu erwähnen, dass sich im gleichen Zeitraum aber auch die Sonnenaktivität stark erhöhte: Das Sonnenmagnetfeld hat sich in den letzten 100 Jahr glatt verdoppelt. Latif ließ dieses kleine Detail aus – passte wohl nicht ganz in seine Story. Stattdessen stellt er eine wilde Behauptung auf: „Wenn ich die gleiche Graphik zeichnen würde – und das habe ich jetzt nicht getan – und das CO2 durch die Sonne austausche, dann würden Sie gerade in dem Bereich wo die Temperaturen besonders stark ansteigen, einen Abfall der Sonnenstrahlung sehen.“

Um es mit seinen eigenen Worten zu kommentieren: Willkommen in Absurdistan! Hätte er die Kurve doch gezeichnet und – noch besser – dann seinem Publikum auch noch gezeigt, dann hätte er seinen Fehler vermutlich schnell selber erkannt. Hier liegt vielleicht sogar das Grundproblem, dass sich Latif die Sonnenaktivitätskurve einfach schon lange nicht mehr zusammen mit der Temperatur angeschaut hat. Wir wollen gerne aushelfen und stellen diese Graphik hier zur Verfügung (siehe Abbildung unten). Man erkennt darauf deutlich, dass die Sonnenaktivität einen ähnlichen Langzeittrend aufweist, wie die Temperatur und CO2. Schade, das hätten wir gerne von Latif selbst gehört. Dies führt unweigerlich zur Frage: Welcher Faktor ist nun wirklich der wahre Hauptantrieb? Das CO2 oder die Sonne, oder beide zu ähnlichen Teilen? Latifs angeblicher „Beweis“ ist also gar keiner. In jeder anderen Wissenschaft hätte er nun böse Zwischenrufe aus dem Publikum geerntet, nicht so jedoch in den Klimawissenschaften. Hier hängt man fast religiös an den Lippen des Vortragenden. Kritisches Mitdenken unerwünscht. Dabei geht es um nicht weniger als den kostspieligen Komplettumbau unserer modernen Welt – und niemand macht sich die Mühe, die klimatologische Grundlage ernsthaft zu hinterfragen. Ein echtes Phänomen. Wie lange noch bis diese Blase platzt? 

Abbildung: Alle taten sie das gleiche, nämlich anzusteigen: Temperatur, CO2, Sonnenaktivität.

 

Latifs Hinweis auf stark ansteigende Temperaturen bei abfallender Sonnenaktivität ist grob irreführend. Er macht es uns in diesem Punkt aber einfach, denn er widerlegt sich im Verlauf des Vortrags dankenswerterweise selbst. Er weist nämlich zu Recht darauf hin, dass Diskrepanzen die über zehn oder zwanzig Jahre in den einzelnen Klimakurven auftreten, nichts über die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Klimafaktors aussagen. Denn das langfristige Klimageschehen wird durch Ozeanzyklen und andere Prozesse überlagert. So stieg beispielsweise die Temperatur ab 1940 für mehr als 30 Jahre nicht mehr an, obwohl sich der CO2-Gehalt zur gleichen Zeit ungerührt in der Atmosphäre ständig erhöhte. Dies war dann jedoch später kein Grund, an der Klimawirksamkeit des CO2 zu zweifeln. Und das ist auch ok so. Dann sollte man aber fairerweise auch nicht die hohe Sonnenaktivität des 19. Sonnenzyklus um 1960 als Problem anführen. Zu dieser Zeit  hat die Pazifisch Dekadische Oszillation (PDO) die Temperaturen nach unten gedrückt, so dass sich weder CO2, noch die Sonne kurzfristig mit ihrer Wärmewirkung durchsetzen konnten. Bei der Sonne kommt noch dazu, dass ein einziger Rekord-Zyklus von 11 Jahren einfach viel zu kurz ist, als dass sich das träge Klimasystem sofort hätte daran anpassen können. Wie bei einem Topf Wasser auf dem Herd, benötigt die Erwärmung des Klimasystems ebenfalls Zeit, um thermische Gleichgewichte herzustellen.

In seinem Vortrag wischt Mojib Latif dann schnell noch die kosmische Strahlung als Kandidat für einen effektiven Solarverstärker vom Tisch. Er behauptet vor versammelter Mannschaft einfach, dass hier der gleiche Befund wie bei der Gesamtstrahlung der Sonne vorläge. Latif: „Die kosmische Strahlung passt überhaupt nicht zur Temperatur.“ Vorsorglich hat er aber auch diese Graphik nicht mitgebracht, so dass das staunende Publikum ihm in dieser Sache wieder blind vertrauen muss. Aber ist dieses Vertrauen eigentlich gerechtfertigt? Auch an dieser Stelle füllen wir gerne Latifs latentes Graphik-Vakuum und möchten den Leser dazu animieren, sich die Entwicklung der kosmischen Strahlung im Vergleich zur Temperatur einmal etwas genauer anzuschauen (siehe Abbildung unten). Von 1970 bis 2000 ist die kosmische Strahlung in den Sonnenzyklen-Minima immer weiter abgesackt. Eine Abnahme der kosmischen Strahlung übersetzt sich dabei in einen Anstieg des Sonnenmagnetfeldes, da die kosmische Strahlung durch das Sonnenmagnetfeld davon abgehalten wird, ungehindert auf die Erde zu prasseln. In die gleiche Zeit fällt aber nun auch die starke Erwärmungsphase, während der es sich um ein halbes Grad erwärmte. Das Gegenteil von Latifs Behauptung ist also der Fall: Kosmische Strahlung und Temperatur passen in den letzten Dekaden bestens zusammen. Und als Sahnehäubchen kommt sogar noch die Entwicklung der letzten 12 Jahre dazu. Die kosmische Strahlung steigt seit ungefähr 2000 wieder an, und das ist auch in etwa der Beginn des beobachteten Erwärmungsstops. Dies passt also ebenfalls sehr gut zusammen.

Man kommt nicht umhin festzustellen, dass auch dieser Anti-Sonnen-Beweis von Latif wissenschaftlich nicht haltbar ist. Latifs Fans ist das aber offenbar vollkommen egal. Denn es scheint schon lange nicht mehr um wissenschaftliche Argumente zu gehen. König CO2 muss gegen den Herausforderer Sonne geschützt werden, koste es was es wolle. Da bleibt dann zwangsläufig die Plausibilität auf der Strecke. Willkommen im aufgeklärten 21. Jahrhundert.

 


Abbildung: Trend der kosmischen Strahlung und der Temperatur für die vergangenen 50 Jahre. Die Abnahme der kosmischen Strahlung (gegenläufig zur Sonnenaktivität) passt gut zur Haupterwärmungsphase 1977-2000. Abbildung aus Kapitel 6 des Buches „Die kalte Sonne“.

 

Latif schlussfolgert auf Basis seiner fehlerhaften Argumentation:

„Die Leute die behaupten, das Klima des 20. Jahrhunderts wäre überwiegend durch die Sonne geprägt, haben einfach Unrecht, und sie würden es auch niemals in einer wissenschaftlichen Zeitschrift publiziert bekommen. Und es gibt keine einzige wissenschaftliche Publikation, die die Erwärmung des 20. Jahrhunderts ohne die Treibhausgase erklären könnte.“ 

Das stimmt natürlich nicht. Und das weiß er natürlich auch. Aber ganz so CO2-kritisch wie immer suggeriert wird, sind wir gar nicht. In unserem Buch „Die kalte Sonne“ gehen wir davon aus, dass etwa die Hälfte der Erwärmung der letzte 150 Jahre durch das CO2 und die andere Hälfte durch die Sonne verursacht wurden. Latif scheint diese Ansicht im Prinzip zu teilen – und bekämpft uns dennoch. Es bleibt sein kleines Geheimnis wie er seine 50% natürliche Erwärmung ohne signifikante Klimawirkung der Sonne hinbekommen möchte. Die von ihm angeführten Ozeanzyklen oszillieren im 60-Jahrestakt munter hin- und her. Die können also unterm Strich nicht viel Erwärmung einbringen. Auf dem Extremwetterkongress wiederholt Latif abermals seine irrige Behauptung, auch der Weltklimarat würde einen bedeutenden Teil der Erwärmung seit 1850 durch natürliche Klimafaktoren verschuldet sehen. Diese ominöse Stelle im IPCC-Bericht von 2007 sollte er nun wirklich allmählich nennen. Sie muss mit durchsichtiger Tinte geschrieben worden sein, denn auf Basis der vom IPCC verwendeten „Strahlungsantriebe“, also der angenommenen Klimawirksamkeiten der einzelnen Klimafaktoren, bleibt für natürliche Prozesse nur Raum für eine Beteiligung im einstelligen Prozentbereich.

Latif folgert aus seinen Beweisversuchen: Die Klimawirkung der Sonne würde „ausgenutzt von Leuten die ihr Süppchen kochen wollen, die sagen, es gäbe gar kein Klimaproblem.“ Und weiter: „Herr Vahrenholt rennt durch die Gegend und sagt zu recht, es hätte seit 1998 keinen neuen Temperaturrekord gegeben. Ja, und muss ich sagen, was ist denn daran so überraschend? […] Der seit 1998 fehlende Temperaturrekord bedeutet gar nichts!“

Doch Herr Latif, der Erwärmungsstop bedeutet doch etwas. Nämlich dass der PDO-Ozeanzyklus die Temperatur seit 2000 nach unten gedrückt hat. Das sagt Latif dann etwas später selber im Vortrag. Und genau dies sagen wir auch in unserem Buch – und zitieren Latifs Arbeiten in diesem Zusammenhang sogar. Verkehrte Welt. Und es bedeutet sogar noch etwas. Nämlich dass die PDO-Erwärmungswirkung von der Erwärmungsrate 1977-2000 abgezogen werden muss. Auch das deutet Latif im Verlauf seines Vortrages an. Genau dies hatte der IPCC unterlassen.

Nach gut 6 Minuten wechselt Latif dann endlich auf die zweite (!) Folie und setzt seinen eigentlichen Vortrag fort. Er berichtet Interessantes über die PDO und AMO, und wagt die Vorhersage eines milden El Nino für den kommenden Winter. Hier liegen seine wahren Stärken. Wie schön wäre es, wenn er sich auf diesen Bereich konzentrieren würde.

Leider unternimmt Latif dann den Versuch, die fragwürdigen IPCC-Temperatur-Prognosekurven zu verteidigen. Diese kennen nur einen Trend, nämlich nach oben. Erwärmungsstops sind ihnen fremd, was jedoch seit 2000 immer mehr an ihrer Verlässlichkeit zweifeln lässt. Hier versucht Latif dann eine kühne Rettungsaktion. Er selbst hatte den aktuellen Erwärmungsstop erfolgreich vorhergesagt, aber seine IPCC-Kollegen weigerten sich damals, dies in ihre Temperaturprognosen aufzunehmen. Latif springt ihnen trotzdem zur Seite und behauptet, dass diese Ozeanzyklen doch nur rein zufällig wären, ein unvorhersagbares, internes Chaos. Das ist seltsam. Wie konnte Latif dann eigentlich seine Erwärmungspausen-Prognose so gut hinbekommen? Beruhen seine Vorhersagen nur auf Rauschen, wie er uns weismachen will? Da kann doch irgendetwas nicht stimmen. Um das Problem zu überspielen, holt sich Latif schnell Mark Twain zu Hilfe: „Vorhersagen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen“.

Latif erweiterte seine Erwärmungspause auf dem Kongress sogar bis 2020 und spricht lyrisch von einer klimatischen „Atempause“. Diese Verlängerung des Erwärmungsstops verkündete er jetzt unter anderem, um „…keine bösen Emails zu bekommen, wenn es nächstes und übernächstes Jahr wieder keinen [Temperatur-] Rekord gibt.“

In der von ihm präsentierten Prognose ist dann schließlich aber doch eine Erwärmung von 0,3°C für die kommenden drei Jahre zu entdecken (siehe Abbildung unten). Bis 2020 würde dann laut Latif ein Temperaturplateau folgen, und im Anschluss daran würde ein Hölleninferno folgen, bei dem die Temperaturen dann endlich wie vom IPCC vorhergesagt, rasant nach oben schießen. Vermutlich ist Latif dann bereits in Rente und taucht dann einfach unter, falls der Erwärmungsschub ausbleibt oder sogar in leichte Abkühlung umschlägt. Vermutlich wird die erneute Erwärmung sogar bis 2040 auf sich warten lassen, da die Ozeanzyklen PDO und AMO sowie die gerade anlaufende, lange Sonnenflaute die Temperaturen noch eine ganze Weile nach unten drücken werden. Zudem wird der Anstieg wohl bei weitem nicht so rasant wie von Latif und IPCC befürchtet, weil die Klimakraft des CO2 schlichtweg überschätzt wurde (siehe Kapitel 7 in „Die kalte Sonne“). Die nächsten Jahre werden auf jeden Fall spannend.

Abbildung: Temperaturprognose nach Latif für die kommenden 8 Jahre: Zu erwarten ist laut Latif ein Anstieg um 0,3°C bis 2015, dann ein Plateau bis 2020, gefolgt von einer rapiden Erwärmungswelle (nicht mehr dargestellt). Quelle

Teilen: